(Dieser Artikel wird zum ersten Mal 1998 veröffentlicht.)
‘I no be gentleman at all, I be african man original’, ‘i-no-be-gentleman-at-all’, ‘I no be gentleman at all’
(Fela Anikulapo-Kuti auf der LP “Gentleman”)
Wenn überhaupt, dann ist Fela (gesprochen Fälla) Anikulapo-Kutis Musik bei uns nur bekannt über seinen Auftritt bei den Westberliner Jazzfestspielen 1978 oder von seinen Platten zusammen mit dem Rockschlagzeuger Ginger Baker. Damals hieß Fela noch Ransome-Kuti. Ransome ist ein Name aus der Zeit der Sklaverei und bedeutet “Lösegeld”. Grund genug, sich von seinem Namen zu trennen. Auf den Berliner Jazztagen wurde Fela vom Publikum ausgebuht. Besonders dann, wenn er länger über politische Themen sprach. Dem verständnislosen Publikum entgegnete er, daß seine Musik nicht der Unterhaltung, sondern der Revolution diene. Das brachte ihm allerdings nur noch mehr Gelächter ein. Dahinter stand von seiten des Publikums Unwissen und mangelndes Einfühlungsvermögen in eine andere Welt. Die eigenen Maßstäbe und Meinungen wurden nicht hinterfragt. Tamtam und nackte Neger lassen sich leicht als fremd und primitiv einordnen. Hier aber standen Afrikaner auf der Bühne mit elektrischen Gitarren und Saxophonen. Die Exotik ist gebrochen. Niemand weiß so recht, was er von diesem modernen Afrika halten soll. Die Spuren des Kolonialismus sind deutlich zu sehen und zu hören. Man hätte lieber ein “reines” Afrika. Doch das gibt es nicht mehr. Fela propagiert kein solches folkloristisches Afrika, aber er greift aufs schärfste die “koloniale Mentalität”, besonders die der herrschenden Eliten, an.
In seinen Texten, die er auch meist selbst singt, unterstützt von einem Chor seiner Frauen, greift er einzelne Aspekte des verwestlichten Verhaltens heraus, macht sie lächerlich und gibt dazu explizit oder implizit die afrikanische Alternative an. So stellt er auf der LP “Stalemate” der Zahnpasta den “chewing stick” gegenüber, der sich schon bei seinen Vorfahren bewährte. Auf “Yellow Fever” nimmt er Stellung zu den Bleichmitteln, mit denen viele Afrikanerinnen und Afrikaner ihre Haut heller machen.
“Yellow Fever”: “Soyoyo Cream” bleicht die Haut. Auf der Tube steht auch noch “Oyinbo Pepper”. Oyinbo ist die Yoruba-Bezeichnung für die Weißen. Gelbfieber ist eine Krankheit, die sich heilen läßt. Es ist nach Fela eine “original” Krankheit. Das Yellow Fever des Bleichens dagegen ist eine künstliche Krankheit.
Die Schallplatten Felas sind in Afrika überall zu hören, und die herrschende Schicht in Nigeria tut alles, um Felas habhaft zu werden. Offen setzt er sich für das Hanfrauchen ein. Immer wieder versuchte die Polizei, Fela damit ins Gefängnis zu bringen. Sie hat sich bei den vielen vergeblichen Versuchen schon lächerlich gemacht. Als sie ihn einmal aber schon fast überführt hatte, verschluckte Fela den ganzen gefundenen ,;Stoff”. Er wurde daraufhin ins Gefängnis gebracht, und die Polizei ließ seinen Stuhl in einem Laboratorium untersuchen. Sie konnte nichts finden. Fela reagierte mit seiner LP “Expensive Shit”, auf der er sich über die Polizei lustig macht. Fela benutzt jedes Ereignis, um daraus eine Schallplatte zu machen und im Sinne seiner Politik zu agitieren.
Zweimal wurde er von der Polizei und dem Militär in seinem Wohnsitz, der “Kalakuta Republic”, überfallen. Das erste Mal 1974. Es folgte die LP “Kalakuta Show”, auf der wir von der brutalen Polizeiaktion erfahren.
“Kalakuta Show”. Felas Haus Kalakuta Republic in Lagos wurde am 23. 11. 1974 von der Polizei gestürmt, die Bewohner zusammengeschlagen.
Weitaus schwerwiegender war der Überfall im Jahre 1977, als 1000 nigerianische Soldaten Felas Haus in Brand steckten, Frauen vergewaltigten, Männern die Geschlechtsteile zerschlugen und überhaupt alle Anwesenden dieser großen Gemeinschaft verprügelten. Danach wurden die Betroffenen noch ins Gefängnis gebracht. Es folgte die LP “Sorrow Blood and Tears”, auf der Fela mit einem Bein in Gips abgebildet ist. Die Attacken auf Fela sind als Einschüchterungsversuche zu sehen, um jede Form von Widerstand gegen die korrupte, ausbeuterische, neokoloniale nigerianische Elite von vornherein zu unterbinden. Fela sollte endgültig mundtot gemacht werden. Es ist den regierenden Militärs nicht gelungen. Allerdings verhinderten sie für längere Zeit jedes öffentliche Konzert. Als Folge dieses Überfalls starb Felas Mutter – sie war von den Militärs aus dem Fenster geworfen worden. Das Gerichtsverfahren, das Fela gegen das Militär führte, wurde mit dem Ergebnis beendet, daß es sich wohl um einen unbekannten Soldaten gehandelt haben muß. So kam es zur LP “Unknown Soldier”.
Vorder- und Rückseite (links) und die beiden Innenseiten der Plattenhülle von “Unknown Soldier”. Auf dem Cover sind Zeitungsausschnitte zusammengestellt. Fela macht die Militärs für den Tod seiner Mutter verantwortlich. Bei einem Überfall auf sein Haus warfen Soldaten sie aus dem Fenster. An den Folgen starb die Mutter, die selbst lange Jahre hindurch politische Kämpferin war. Sie hat die “Nigerian Womens Union” begründet und das Frauenstimmrecht in Nigeria durchgesetzt.
Obwohl Fela in seinen Texten zum größten Teil seine persönlichen Verfolgungen aufgriff, waren sie dennoch für viele Nigerianer von Bedeutung, denn das Gros der Bevölkerung war der Willkür der Soldaten und des Militärs ausgesetzt. Ganz allgemein und grundsätzlich gegen das Militär war seine LP “Zombie” gerichtet. Zombies sind im Kontext des haitianischen Voodoo fremdgesteuerte Akteure. Für Fela sind Soldaten nichts anderes. “Zombie” ist auch musikalisch besonders reizvoll. Dem Text, den von Fela gegebenen militärischen Befehlen, entspricht der kurze harsche Rhythmus, der einen öfters zum “Stillgestanden!” zwingt. Fela läßt die Seite mit einer Trompete, die eine Zapfenstreichmelodie spielt, ausklingen.
“Zombie” steht für die kopflosen, befehlshörigen Soldaten.
Auf der Rückseite zu “Zombie” ist “Mr. Follow, Follow!” Es ist an all die gerichtet, die sich eifrig von den dummen Militärs distanziert haben und glaubten, ungeschoren davon gekommen zu sein. Fela sieht es als eines der Grundprobleme Afrikas an, daß es Europa, den ehemaligen Kolonialherren hinterher läuft, ja sogar blindlings folgt. Im großen wie im kleinen ist daran praktisch jeder Afrikaner mitbeteiligt. Der Comic von Lemi auf dem Cover stellt das äußerst plastisch dar.
Auf der Rückseite zu “Zombie” dieser Comic, der die neokoloniale Situation kennzeichnen soll: Die Afrikaner rennen immer noch blind hinter den ehemaligen Herren her.
Auch auf dem Cover von “Kalakuta Show” steht auf dem Helm eines Polizisten anstatt “Police” “Zombie”. Es zeugt vom Mut Felas, diese Platte in aller Offenheit gegen das damals herrschende Militär herausgebracht zu haben. Den Mut und die Kraft bezieht er aus seiner politischen Überzeugung. Er ist Nkrumahist. Nkrumah kämpfte für die Unabhängigkeit der Goldküste, des späteren Ghana, dessen erster Präsident er wurde. Er entwickelte die These vom “Panafrikanismus”, die besagt, daß für die Entwicklung zum Sozialismus erst die Befreiung des gesamten Kontinentes erfolgt sein muß.
Eine Platte trägt den Titel “Fear Not For Man”. Fela zitiert dazu Osagyefo (den Preistitel Nkrumahs) Kwame Nkrumah: “The secret of Life is to have no fear!” – Das Geheimnis des Lebens ist es, keine Angst zu haben! Fela hat auch einen Film gedreht, den er Kwame Nkrumah gewidmet hat, er heißt “The Black President”.
Außerdem ist Fela eine führende Figur in der halblegalen Organisation der Young African Pioneers (YAP), die, panafrikanisch ausgerichtet, gegen Korruption, kulturellen Imperialismus und Gewalt von seiten des Staates kämpft. In diesen Zusammenhang gehört Felas LP-Text “Vagabonds in Power”.
V.I.P. Vagabonds in Power Vagabunden an der Macht (Verbündete…)
VIP sind sehr wichtige Persönlichkeiten.
Diese wichtigen Persönlichkeiten meinen,
sie haben viel Macht.
Sie haben so viel Macht.
Sie meinen, sie sind besondere Leute,
aber jeder hat seine eigene Macht.REFRAIN: Überall…
*** Ein Gepäckträger hat auch seine
eigene Macht über sein Gepäck.
Ein Busfahrer hat seine eigene Macht
über seinen Bus und seinen Schaffner.
Ein Geschäftsmann hat seine eigene
Macht über seine Angestellten und
seine Arbeitgeber.
Ein Polizeichef hat auch seine eigene
Macht über verschiedene Untergebene.
Kalakuta Präsident hat seine eigene
Macht über sein eigenes Reich.
Das Staatsoberhaupt hat seine eigene
Macht über sein eigenes Land.
Wenn jemand Macht hat, sagt er Unsinn.
Warum?
Wenn jemand Macht hat, betrügt er
seinen Nachbarn. Warum?
Wenn jemand Macht hat, bereichert er
sich mit Geld. Warum?
Er kennt keine hungrigen Leute.
Er kennt keine arbeitslosen Leute.
Er kennt keine heimatlosen Leute.
Er kennt keine leidenden Leute.
Er stiehlt Geld.
Er betrügt seinen Nachbarn.
Er ißt nur vom Besten.
Er fährt das beste Auto.
Wenn du auf der Straße bist, mußt du
ihm aus dem Weg gehen.
*** Er ist ein falscher Mann!
Er ist ein Verbündeter der Macht.
Ich sage dir, daß er
der falsche Mann ist.
Er ist ein VIP…
(Mitteilungen der Berliner Jazztage ”78 für die Presse)
Fela gehört auch dem “Movement of the People” (MOP) an. Das ist keine Partei, aber eine Bewegung, die, panafrikanisch und sozialistisch orientiert, die die”2. Unabhängigkeit” fordert. Auf der FESTAC 1977 dem 2. Weltfestival afrikanischer Kultur, hat Fela nicht teilgenommen. Er hatte die Bedingung gestellt, daß von der Regierung freie Schulbücher für die Volksschulen zur Verfügung gestellt werden sollten. Darauf ging die Regierung nicht ein.
Fela ist Musiker und Politiker zugleich. In einem Interview hat er einmal gesagt, daß es leichter geht, über Musik die Leute anzusprechen: “Die Musik ist der schnellste ”Generator”, sie ist das schnellste Kommunikationssystem, das sich zur Übermittlung einer Botschaft benutzen läßt. In der Tradition haben die Leute auch immer auf den Trommler gehört. Wer Musik machen kann, dem wird auch zugehört, was er ihnen zu sagen hat. Es ist die Musik, die zählt.”
Für unsere Verhältnisse unglaublich ist es, daß Fela der wohl größte Popmusiker Afrikas ist und der politischste dazu. Kommerz, Politik und Musik hängen zusammen, schließen einander nicht aus.
Die Schallplatten werden allenthalben den ganzen Tag lang über die Straße hinweg mit voller Lautstärke gespielt. Die Musik hat eine viel durchgängigere Präsenz als in unseren Breiten. Viele der anderen nigerianischen Popmusiker singen in erster Linie religiös beeinflußte Texte, oben drein in den lokalen Sprachen, zum Beispiel in Yoruba. Damit bleiben sie für einen Großteil der nigerianischen Bevölkerung unverständlich. Fela singt dagegen in Yoruba und in Pidgin-English – oft eine Zeile Yoruba, die nächste Zeile Pidgin.
Entscheidend für Felas Erfolg ist, daß er sich alle bekannten Alltagserscheinungen vornimmt. Sei es, daß er auf die von den Gebildeten benutzte Sprache eingeht, eine Kopie des Oxford-English. Sei es, daß er Kleidung, Erziehung und Verhaltensweisen von Nigerianern geißelt, die sich an westlichen Normen orientieren, zum Beispiel auf der LP “Gentleman”. Er kritisiert die Elite und wirft ihr totales Versagen vor. Nichts funktioniert in Nigeria; da ist – wie gleichnamige LPs heißen – nur “Confusion” (Verwirrung), oder die Dinge sind “Up side down” (stehen auf dem Kopf). Schuld daran istfür ihn die “koloniale Mentalität” (auf “Sorrow, Blood + Tears”) oder auch die “Ikoyi Blindness”. Ikoyi hieß das Wohnviertel in der Hauptstadt Nigerias für die Beamten der britischen Kolonialverwaltung, die dann bruchlos durch die nigerianischen Beamten abgelöst wurden.
“Ikoyi Blindness”. Im Stadtteil Ikoyi in Lagos residierten früher die Kolonialbeamten. Jetzt wohnt dort die nigerianische Elite. Im Hintergrund sind die Armenviertel durch Schilder gekennzeichnet.
Alle in Felas Texten angesprochenen Probleme werden durch die künstlerische Gestaltung der Schallplattenhüllen – die meisten sind von Ghariokwu Lemi – bildhaft verdeutlicht. Üblicherweise werden im internationalen Schallplattengeschäft die Cover im Auftrag der Herstellerfirma, und nicht etwa der Gruppen oder des Künstlers, nach rein markt- und werbestrategischen Gesichtspunkten gestaltet. Oberstes Ziel ist die Verkaufbarkeit des Produkts. Im Einzelfall ist es schon vorgekommen, daß die Grafik allein entscheidend war für die Menge der verkauften Platten. Ganz anders wird bei Felas Platten einem Cover-Artist die Möglichkeit gegeben, seinen Kommentar zum Inhalt der Texte und zur Musik durch seine gestalterische Arbeit zum Ausdruck zu bringen.
Wichtig dabei ist, daß der Künstler die politisch-ideologischen Ansichten des Musikers teilt. Für Lemi scheinen Überzeugung und künstlerischer, wie grafisch-werbetechnischer Auftrag eine Einheit zu bilden. Ähnliches finden wir bei uns allenfalls bei den Labels der Alternativen- und Politszene. Gruppen, die inzwischen Platten in eigener Produktion herstellen, mußten oft die Erfahrung machen, daß die von ihnen selbst vorgeschlagenen Coverentwürfe von den Plattenkonzernen nicht akzeptiert oder ihnen von vornherein ein “rein kommerzielles” Cover aufgezwungen worden ist. Innerhalb der Popszene besteht in den seltensten Fällen eine enge Verbindung zwischen Musiker(n) und dem Cover-Grafiker. Eine wichtige Ausnahme sind dabei lediglich die Plattenhüllen der Reggae- und der Punk-Musik.
Bei der Covergestaltung Ghariokwu Lemis sind sämtliche in der Plattencoverkunst bekannten Techniken vertreten. Neben “reiner” Grafik finden wir die Collage, die Photomontage und gemalte Bildvorlage, zum Beispiel als Ölgemälde. Letzteres ist in der cover art keine verbreitete Technik, für Lemi ist sie charakteristisch. Hinzu kommen Comic und Karikatur.
Ein absolutes Novum auf dem Gebiet der Cover-Gestaltung ist der Kommentar des Künstlers zu der Schallplatte und zu seiner eigenen Arbeit auf der Rückseite. Er nimmt mit dem Schallplattenhörer noch zusätzlich Kommunikation auf über das Cover-Bild und seinen Text dazu. So lesen wir zum Beispiel auf der LP “Ikoyi Blindness” in der Handschrift des Künstlers: “…I have attempted capturing the reality in Fela”s lyrics in my cover painting and designs! You will appreciate my effort, in as much as you love this music — you sure will!– G. Lemmi ”76 – May”. Auf der LP “Everything Scatter” steht: “Ghariokwu Lemmi (a young talent) he put the artwork together”.
Auf der Rückseite der LP “Ikoyi Blindness” der Kommentar des Grafikers Ghariokwu Lemi.
Auf späteren Hüllen ist Lemi – jetzt mit einem “m” – mit einer Art persönlichem Signum: mit Foto und Palette zu sehen. So zum Beispiel auf der LP “J. J. D. – Johnny Just Drop”.
Lemis Künstlersignum im Innenteil des Covers von “J.J.D.”.
Hier bringt uns Lemi gleich zwei Bilder. Je eines auf der Vorder- und Rückseite dieser aufklappbaren Hülle. J. J. D. steht für den aus dem Ausland nach Nigeria Zurückgekehrten. Seiner Heimat entfremdet, fällt er wie vom Himmel herab zurück in die Arme seiner Verwandten und Bekannten. Mit sich bringt er fremde Angewohnheiten, die er kultiviert, um sich als jemand Besonderer herauszustellen. Jeder soll sofort sehen, wo er gewesen ist. Felas Text macht sich über ihn lustig und meint, er soll seine “second-hand”-Manieren aufgeben und sich lieber den “originalen” seiner Heimat zuwenden.
Vorder- und Rückseite von “J. J. D. ” – Johnny Just Drop: zurück aus Übersee, ist er ein Fremder in seinem eigenen Land.
Lemi schreibt “Ofersee Hairways” für “Oversea Airways”. Mit solcher Afrikanisierung des Englischen wird die Rechtschreibung stärker dem gesprochenen Wort, in diesem Fall dem Pidgin-English, angeglichen. Diese Sprache ist eine Art lingua franca für viele Teile der ehemals unter britischer Kolonialherrschaft stehen den Welt Afrikas und Asiens und hat sich inzwischen den jeweils lokalen sprachlichen Verhältnissen angepaßt.
Die Schallplattenhüllen von Ghariokwu Lemi sind Grafiken und Bilder eines offen sichtlich professionellen Künstlers. Auf den Vorderseiten nigerianischer Plattenhüllen wird sonst meistens der Musiker oder die Band in einem Foto abgebildet. Es variieren lediglich Ort, Kleidung, Arrangement und Farbgebung. Der Musiker ist in der Totale oder nur mit seinem Kopf abgebildet. Diese gestalterische Beschränktheit hat Lemi durchbrochen. Er nimmt sich alle möglichen Freiheiten, indem er die verschiedensten Techniken mischt. Dabei hat er einen eigenen, deutlich erkennbaren Stil entwickelt. Als junger nigerianischer Grafiker kann er auf die kommerzielle Plakatmalerei, die Sign Painters, die “Schildermaler”, zurückgreifen (in tendenzen Nr. 130 waren einige Abbildungen nigerianischer Schildermaler zu sehen). Weiterhin gehören die zahlreichen – auch in Nigeria selbst produzierten – Comics zur visuellen Erfahrung eines Afrikaners. Hinzu kommen die Fernsehserien, die es dann als Fotogeschichten, in Heftchen mit Textblasen versehen, zu kaufen gibt. Wir dürfen nicht vergessen, daß es sich in Afrika immer noch um Gesellschaften mit einer hohen Analphabetenquote handelt. Wenn heute zum Beispiel im Süden Nigerias die meisten Kinder lesen und schreiben lernen, so heißt das nicht, daß sie es nicht mangels Praxis bald wieder teilweise vergessen. Ein Phänomen, das mit Re-Analphabetisierung bezeichnet wird und auch in unseren Breiten auftaucht.
Karikaturen und Comics sind auch noch mit geringem Lesevermögen zu verstehen. Und Fela wie Lemi geht es in erster Linie darum, daß ihre “Message” unter die Leute kommt. Bilder und die sonstige grafische Gestaltung dienen zur Intensivierung der über die Musik und den Gesangstext vermittelten Botschaft. Manches wird im Text nur angesprochen, aber dann im Bild stärker in den Vordergrund gebracht. Was vielleicht besser nicht gesagt werden soll, wird dann in einem Bild ausgedrückt. So zum Beispiel auf dem Cover von “Alagbon Close”. Im gesungenen Text ist nicht die Rede davon, daß das Gefängnis etwa in Flammen aufgehen solle. Das wäre wahrscheinlich juristisch eine gefährliche Angelegenheit geworden. Dafür ist der Aufruhr im Bild vorgestellt, dessen Woge das Patrouillenboot umkippt.
“Alagbon Close”, ein Knast in der westnigerianischen Stadt Abeokuta.
Die farbliche Gestaltung spielt bei allen Plattenhüllen Lemis eine große Rolle. Der Überfall auf Felas Haus, die Kalakuta Republic, erfolgt im Dunkel. Braun-schwarze Töne bestimmen das Bild: die Farben vom Rauch des Feuers durch Brandschatzung. In blauer Farbe sind die Hemden der Polizei zu sehen – allesamt im Dunkel dabei, Brutalitäten zu begehen. Felas Haus steht in Weiß rechts oben, links daneben mitten aus Ruß und Rauch zeichnet sich Felas gesenkter Kopf ab – sein Gesicht hat einen Ausdruck von zerknirschtem Groll.
Die Frontseite von “Ikoyi Blindness” ist recht hell mit vielen Orange- und Rottönen gemalt. Über die weißlich-grüne Jacke des Advokaten bekommt das Bild einen blassen Charakter, der bis zur Widerlichkeit führt. “Yellow Fever” ist in Gelbbraun gehalten – ebenso, um beim Betrachter Abscheu auszulösen. Die Fotomontage auf “Zombie” – das ist gelb-rot geschrieben ist grünblau koloriert, Felas Hemd ist rosa. Beide Bilder Lemis zur Platte “J. J. D.” sind sehr bunt und in angenehmen Farben gehalten – der Titel eine Zeichnung, die Rückseite eine Ölmalerei.
Das Cover zu “Unknown Soldier” – von den hier abgebildeten das einzige nicht von Lemi, sondern von Tunde Orimogunje stammende – ist ausschließlich schwarz weiß, gedacht als Anklage für den Mord an der Mutter und als Dokumentation der Zerstörung von Kalakuta Republic samt dem gerichtlichen Nachspiel.
Der Ausschnitt aus dem Innenteil des Covers ist von Tunde Orimogunje gezeichnet: Im Hintergrund die Särge der Opfer von Übergriffen des Militärs; Schrifttafeln erinnern an Orte und Ereignisse, die mit solchen Rechtsverletzungen assoziiert werden.
Die künstlerisch gestalteten Cover aus Nigeria sind hier in Europa nicht immer zu bekommen. Viele der an die 30 von Fela gemachten LPs sind in Frankreich er schienen, aber dort mit einem veränderten Aussehen. Felas Gesicht wird groß als Foto gebracht, ein Bild des jeweiligen Original-Covers in Miniaturgröße daneben abgedruckt. Die Rückseite fällt ganz weg, außer den minimalen Informationen über Spieler und Songtitel. Die Texte werden nicht übernommen, ebensowenig die Comics usw.
Das Porträt Felas nimmt die Hälfte des in Frankreich produzierten Covers ein. Das ursprüngliche Bild zu “Confusion” ist kaum noch zu erkennen. Verwirrung kennzeichnet die Situation von Felas Heimatland: Die Polizei ist der Gesetzesbrecher.
Weil Decca Nigeria Fela bei der Cover Gestaltung Schwierigkeiten machte und weil es auch noch einige andere – finanzielle – Probleme zu regeln gab, besetzte Fela mit seiner Gruppe 1978 vorübergehend das Anwesen von Decca in Lagos. Die Besetzung mußte dann wegen der Reise nach Westberlin abgebrochen werden.
Der Musiker Fela
Fela Anikulapo-Kuti, geboren 1938 in Abeokuta in Westnigeria, studierte in London Trompete, Piano und Gesang. In England noch formierte er die Highlife Rakers und nach seiner Rückkehr nach Nigeria 1967 die Koola Lobitos. Nach einer fünfmonatigen Amerika-Tournee im Jahre 1969 änderte er den Namen der Band in “Africa ”70″, und seine Musik hatte eine neue Orientierung bekommen. Hatte er vorher eine Synthese von westafrikanischem Highlife mit Jazz-Rhythmen gespielt, so propagierte er jetzt den Afro beat, wobei afrikanische und afroamerikanische Musik verschmolzen werden. Fela ließ seine alten Vorbilder, wie Charlie Parker und Miles Davis, fallen und orientierte sich mehr am aggressiven afroamerikanischen Soul. Fela sagte selbst zu seiner Amerikaerfahrung: “Damals war es, daß ich wirklich zu begreifen begann, daß ich nicht afrikanische Musik gespielt hatte. Ich hatte den Jazz benutzt, um afrikanische Musik zu spielen, an statt afrikanische Musik zu benutzen, um Jazz zu spielen.” Fela spielt in seiner über fünfzehn Mann starken Band Saxophon und elektrische Orgel. Außerdem singt er – meist zusammen mit einem Chor seiner Frauen. “Africa ”70″ ist oft folgendermaßen instrumentiert: bis zu vier Saxophone, fünf Gitarren, zwei Trompeten, drei Congas, zwei Schlagzeuge/Trommler, Maraccas, Sticks, Piano/Orgel und eine Baßgitarre. Fela arrangiert, komponiert und produziert seine LPs selbst. Die Plattenseiten werden jeweils durchlaufend bespielt, der Text beginnt meist mit dem letzten Drittel.
Angaben zu den Platten
Fela Ransome-Kuti and the Africa ”70
- Alagbon Close Makossa EM 2313, 1975
- Confusion